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2.8
Blitzstrom-Messungen von Aufwärts- und Abwärtsblitzen
Im Allgemeinen geht man davon aus, dass für die vom Blitz getroffenen Objekte Abwärtsblitze (Wolke-Erde-Blitze) eine härtere Beanspruchung als Aufwärtsblitze (Erde-Wolke-Blitze) darstellen. Dies gilt besonders für die Stoßstrombelastung. Im flachen Gelände und bei baulichen Anlagen mit niedriger Bauhöhe ist meistens mit Abwärtsblitzen zu rechnen. Befinden sich hingegen Anlagen in einer exponierten Lage und/oder besitzen sie eine größere Bauhöhe, dann treten überwiegend Aufwärtsblitze auf. Die in den Blitzschutznormen festgelegten Parameter gelten im Allgemeinen für Abwärts- und Aufwärtsblitze. Bei Aufwärtsblitzen ist besonders der erste Langzeitstrom ohne überlagerte Pulsströme oder mit solchen zu beachten.
Ein exaktere Ermittlung der Blitzstromparameter und ihrer Abhängigkeit ist für Aufwärts- und Abwärtsblitze noch in Bearbeitung. Weltweit werden deshalb Blitzstrommessungen zur wissenschaftlichen Grundlagenforschung an verschiedenen Blitzmess-Stationen durchgeführt. Bild 2.8.1 zeigt die von der österreichischen Blitzforschungsgruppe ALDIS betriebene Blitzmess-Station am Gaisberg bei Salzburg. An dieser Messstation führt DEHN seit 2007 Blitzstrom-Messungen mit einer mobilen Blitzstromerfassungseinheit durch.
Bild 2.8.1
Vergleichende Blitzstrommessungen der Blitzforschungsgruppe ALDIS / Österreich und DEHN am ORS Sender Gaisberg bei Salzburg
Die Ergebnisse dieser Vergleichsmessungen bestätigen im Wesentlichen die Blitzstromparameter, wie sie in der aktuellen Blitzschutznorm IEC 62305-1 beschrieben sind. Auffallend bei den aufgezeichneten Aufwärtsblitzen ist die hohe Anzahl von überlagerten Impulsströmen. Mit durchschnittlich 8 Stoßströmen (entweder dem Langzeitstrom überlagert oder dem Langzeitstrom nachfolgend) werden bei den aufgezeichneten Blitzereignissen deutlich mehr Impulsströme beobachtet als die 3 – 4 Folgeblitze, die typischerweise bei Abwärtsblitzen auftreten. Die in den Blitzschutznormen angegebenen 3 – 4 Impulsentladungen pro Blitz gelten also nur für Abwärtsblitze.
Von ALDIS wurden in 10 Jahren (2000 – 2009) bei insgesamt 10 Blitzen Gesamtladungen aufgezeichnet, die den maximalen Ladungswert von 300 As nach Gefährdungsklasse LPL I überschreiten. Diese hohen Ladungswerte sind ausnahmslos während Wintergewittern aufgezeichnet worden. Langzeitströme bei Wintergewittern mit größeren Ladungen als die für die Blitzschutzklasse LPL I angegebenen, konnten auch mit dem mobilen System während der ersten Messperiode korrekt aufgezeichnet werden. Bild 2.8.2 zeigt einen Langzeitstrom mit einer Ladung von 405 As vom Januar 2007. Bei Blitzschutzmaßnahmen für hohe Anlagen und exponierte Lagen, wie zum Beispiel Windkraftanlagen und Sendeanlagen, sind auch diese extremen Beanspruchungen, die den Ladungswert von 300 As der Blitzschutzklasse I übersteigen, gegebenenfalls zu berücksichtigen.
Bild 2.8.2
Langzeitstrom mit überlagerten Pulsströmen eines Aufwärtsblitzes mit Gesamtladung ~ 405 As – aufgezeichnet während eines Wintergewitters am Sender Gaisberg
ICC-only Entladungen bei Aufwärtsblitzen
Bei Aufwärtsblitzen fließt ein einleitender Langzeitstrom über das getroffene Objekt. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein beträchtlicher Anteil von Aufwärtsblitzen, im Gegensatz zu Abwärtsblitzen, keine überlagerten kurzeitigen Stoßströme oder nach dem Abklingen des einleitenden Langzeitstroms keine nachfolgenden Stoßströme aufweisen. Diese reinen Langzeitströme bezeichnet man entsprechend der englischen Bezeichnung „initial continuing current“ (ICC) auch als ICC-only-Entladungen. So wurden beispielsweise durch ALDIS 47 % aller am Gaisberg aufgezeichneten Blitzentladungen als ICC-only-Entladungen klassifiziert.
Es muss dabei berücksichtigt werden, dass besonders bei Wintergewittern ICC-only-Entladungen aufgezeichnet wurden, die einen Ladungstransfer von über 300 Colombs aufwiesen. Solche Langzeitströme können erhebliche Auswirkungen am Lichtbogenfußpunkt des Einschlagpunktes zum Beispiel an den Rezeptoren von Rotorblättern haben. Deshalb ist es bei Blitzmesssystemen, die in hohen Anlagen wie Windkraftanlagen installiert werden, wichtig, dass auch solche ICC-only-Entladungen von Aufwärtsblitzen möglichst genau erfasst werden. Es ist in diesem Zusammenhang auch zu beachten, dass es für Blitzortungssysteme nicht oder nur zu einem geringen Teil möglich ist, solche ICC-only-Entladungen zu erfassen. Bild 2.8.3 zeigt den Stromverlauf einer solchen ICC-only-Entladung, die im Januar 2017 durch das Erfassungssystem mit Rogowskispulen am Gaisberg aufgezeichnet worden ist. Bild 2.8.4 zeigt die Typen von Aufwärtsblitzen.
Bild 2.8.3
ICC-only-Entladung aufgezeichnet am Sender Gaisberg Bild 2.8.4
Typen von Aufwärtsblitzen (Quelle: Dr. Gerhard Diendorfer)
Aufsummierte Gesamtladung
Materialausschmelzung und -abtrag am Lichtbogen-Fußpunkt ist ein kumulativer Effekt. Schäden an Rezeptoren können sich so zum Beispiel durch die aufsummierte Gesamtladung mehrerer Blitzeinschläge ergeben. Wie bereits ausgeführt, können hohe Anlagen während eines einzelnen Gewitters mehrfach vom Blitz getroffen werden. Ein extremes Beispiel wurde von ALDIS für den Sender Gaisberg berichtet. Während eines einzelnen Gewitters im Februar 2005 wurden dabei innerhalb von 5 Stunden 20 Blitzeinschläge mit einer aufsummierten Gesamtladung von 1800 Colombs aufgezeichnet. Blitzmesseinrichtungen in hohen Anlagen wie Windkraftanlagen müssen also in der Lage sein, die aufsummierte Gesamtladung zu ermitteln. So können mit Hilfe der Ergebnisse der Blitzstrommessungen Vorgaben für den Betrieb und die Wartung von Windkraftanlagen abgeleitet werden.
Die genannten Anforderungen wurden bereits bei der Konzipierung des neuen Blitzstrommesssystems DEHNdetect berücksichtigt. Dieses Messsystem ist insbesondere für den Einsatz in Windkraftanlagen vorgesehen. So ermittelt DEHNdetect (Bild 2.8.5) neben Stoßströmen auch die gefährlichen Langzeitströme (ICC-only-Events – Initial Continuous Current). Ein durch einen Blitz verursachter Schaden führt nicht zwangsläufig zu einem sofortigen Ausfall der Anlage. Daher bleiben Blitzereignisse auch oft unerkannt. Gerade bei Aufwärtsblitzen fließt, wie vorher beschrieben, ein einleitender Langzeitstrom von wenigen 100 A, der die Hauptursache für Ausschmelzungen z. B. an Rezeptoren von Rotorblättern sein kann. Schwerwiegende Schäden können die Folge sein.
Der Betreiber ist mit DEHNdetect in der Lage abzuschätzen, ob ein Blitzeinschlag ungefährlich war oder ob ein Abschalten und Prüfen der Turbine notwendig ist, um Schäden der Rotorblätter oder anderer Komponenten auszuschließen. Dabei erfasst DEHNdetect nicht nur den Gesamtstrom durch die Anlage, sondern auch die einzelnen Teilströme in den Rotorblättern. Die Datenbereitstellung und das Datenmanagement erfolgen per Web-Applikation (Cloud) und so können auch mehrere Anlagen oder sogar gesamte Windparks einfach gemonitort werden. Neben der direkten Installation durch den Windturbinenhersteller besteht auch die Möglichkeit, bestehende Anlagen nachzurüsten. Eine schnelle und einfache Installation, z. B. am Übergang zwischen Nabe und Gondel, angepasst an die Anforderungen der jeweiligen Turbine, machen dies möglich.
Negativer Abwärtsblitz und zugehöriger Teilblitzstrom
Bei den vergleichenden Blitzstrommessungen konnte ein negativer Wolke-Erde-Blitz aufgezeichnet werden. Dieser Abwärtsblitz ist im Vergleich zu den vorher beschriebenen Aufwärtsblitzen durch einen deutlich höheren Stoßstromwert gekennzeichnet. Der detektierte negative Abwärtsblitz hat ein Strommaximum von ungefähr 29 kA und eine Ladung von etwa 4,4 As. Bild 2.8.6 zeigt den Vergleich der aufgezeichneten Stromkurven des wissenschaftlichen ALDIS-Messsystems und der mobilen Blitzstromerfassung.
Bild 2.8.6
Negativer Abwärtsblitz mit M-Komponente (oben) und Teilblitzstrom in der Energieversorgungsleitung (unten) – aufgezeichnet am Sender Gaisberg
Beide Stromverläufe stimmen gut überein. Dem abfallenden Stoßstrom ist ein weiterer, langsam ansteigender, negativer Blitzstrom von etwa 5 kA überlagert. Diese charakteristische Blitzstromkomponente bezeichnet man in der Blitzforschung auch als M-Komponente. Bedingt durch die erhöhte Anzahl von Messkanälen war es in der zweiten Messperiode zudem möglich, mit der mobilen Blitzstromerfassung den Teilstrom in einem der Niederspannungskabel aufzuzeichnen, die zwischen der Plattform auf 80 m Höhe und dem Betriebsgebäude am Mastfuß verlegt sind. Zwischen diesen beiden Installationspunkten bieten sich dem Blitzstrom eine Vielzahl paralleler Ableitpfade. Der Blitzstrom teilt sich zwischen der metallenen Mastkonstruktion sowie den zahlreichen Energie-, Daten- und Antennenleitungen auf. Somit ist der gemessene Absolutwert des Blitzteilstroms in einem einzelnen Niederspannungskabel nicht aussagekräftig. Es konnte jedoch nachgewiesen werden, dass der Blitzteilstrom in dem betrachteten Niederspannungskabel die gleiche Polarität und eine dem primären Blitzstrom an der Turmspitze vergleichbare Wellenform und Stromflussdauer aufweist. Ein zum Schutz dieser Leitung eingebautes Überspannungsschutzgerät muss also in der Lage sein, Blitzteilströme ableiten zu können.