Knapper werdende Trinkwasserressourcen erfordern einen effizienteren Umgang mit ihnen. Kläranlagen nehmen deshalb einen zentralen Platz im Trinkwasserkreislauf ein. Die hohe notwendige Effizienz von Kläranlagen (Bild 9.32.1) erfordert die Optimierung des verfahrenstechnischen Ablaufes bei gleichzeitiger Senkung der laufenden Betriebskosten. Dazu wurden in den vergangenen Jahren erhebliche Summen in elektronische Messeinrichtungen und dezentrale elektronische Steuerungs- und Automatisierungssysteme investiert.

Bild 9.32.1 Schematischer Aufbau einer Kläranlage

Gegenüber der konventionellen Technik weisen die neuen elektronischen Systeme allerdings nur eine geringe Festigkeit bezüglich transienter Überspannungen auf. Die baulichen Gegebenheiten der weiträumigen Freianlagen der Abwassertechnik mit den verteilten Messeinrichtungen und Steuerungen erhöhen noch zusätzlich das Risiko einer Beeinflussung durch Blitzentladungen oder Überspannungen. Somit ist ein Ausfall der kompletten Prozessleittechnik oder Teilen von ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, wenn keine Schutzmaßnahmen getroffen werden.

Die Folgen eines solchen Ausfalls können schwerwiegend sein: Sie reichen von den Kosten für die Wiederherstellung der Anlagenfunktion bis hin zu den nicht zu beziffernden Kosten zur Beseitigung von Grundwasserverschmutzungen. Um dieser Bedrohung wirksam entgegenzuwirken und die Verfügbarkeit der Systeme zu erhöhen, müssen Maßnahmen des äußeren und inneren Blitzschutzes getroffen werden.

Abschätzung des Schadensrisikos für die
Kläranlagenwarte

Das anschließend aufgeführte Beispiel wurde unter Verwendung der Norm DIN EN 62305-2 (VDE 0185-305-2) berechnet. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nur die Vorgehensweise beispielhaft dargestellt werden soll: Die gezeigte Lösung ist in keiner Weise verbindlich und kann durch andere, gleichwertige Lösungen ersetzt werden.

Nachfolgend werden nur die wesentlichen Charakteristika des Beispiels aufgeführt:
Als Erstes wurde zusammen mit dem Betreiber ein Fragebogen mit relevanten Fragen zur baulichen Anlage und deren Nutzung besprochen und schriftlich fixiert. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass ein für alle Beteiligten nachvollziehbares Blitzschutz-Konzept erstellt werden kann. Dieses Konzept stellt dann die Mindestanforderungen dar, die aber jederzeit technisch verbessert werden können.

Anlagenbeschreibung

Die komplette Prozessleittechnik der Kläranlage befindet sich zentral in der Kläranlagenwarte. Gekennzeichnet durch die ausgedehnten Kabelverbindungen zu den Mess- und Unterstationen werden über diese Leitungen bei einem Blitzeinschlag erhebliche Blitzteilströme und Überspannungen in die Schalträume eingeschleppt, was in der Vergangenheit bereits immer wieder zu Anlagenzerstörungen/-ausfällen geführt hat. Gleiches gilt für die Energieversorgungsleitung und die Telefonleitung.

Die Kläranlagenwarte selbst soll gegen Schäden durch Feuer (nach direktem Blitzeinschlag) und die elektrischen sowie elektronischen Systeme (Steuerungs- und Automatisierungssystem, Fernwirktechnik) gegen die Wirkung des elektromagnetischen Blitzimpulses (LEMP) geschützt werden.

Zusätzliche Bedingungen:

  • Es sind schon Schutzmaßnahmen (Bestand) gegen Blitzeinwirkung vorhanden (äußerer Blitzschutz nach früherer VDE 0185-1, Überspannungsschutzgeräte (SPD) des Typs VGA 280/4 am Gebäudeeintritt der Energieversorgungsleitung 230/400 V, SPD der Klasse C vom Typ VM 280 in den Schaltschränken der MSR-Technik).
  • Als Schadensarten relevant sind L2: Ausfall von Dienstleistungen für die Öffentlichkeit (Wasserversorgung und -entsorgung) und L4: wirtschaftliche Verluste (bauliche Anlagen und deren Inhalt). Die Schadensart L1: Verlust von Menschenleben wurde ausgeschlossen, da im späteren Betrieb die Anlage vollautomatisch laufen soll.

Das Ergebnis nach der Berechnung des Ist-Zustandes lautet, dass sowohl für die Schadensart L2 als auch L4 das berechnete Schadensrisiko R noch deutlich über dem jeweils akzeptierbaren Schadensrisiko RT liegt.

Nun werden mögliche Schutzmaßnahmen eingeleitet, um für beide Schadensarten R < RT zu erreichen:

  • Errichten eines Blitzschutzsystems der Schutzklasse III nach DIN EN 62305-3 (VDE 0185-305-3). (Dies entspricht auch den Empfehlungen aus dem VdS-Merkblatt 2010.)
  • Installation von Ableitern SPD Typ 1 nach DIN EN 61643-11 (Energieversorgung) und SPDs der Kategorie D1 nach IEC 61643-21 für die informationstechnischen Leitungen (MSR- und Telekommunikationsleitungen) an den Zonenübergängen LPZ 0A – 1.
  • SPD Typ 2 nach DIN EN 61643-11 (Energieversorgung) und Überspannungsschutzgeräte der Kategorie C2 nach IEC 61643-21 für die informationstechnischen Leitungen (MSR- und Telekommunikationsleitungen) an den Zonenübergängen LPZ 0B – 1 und 1 – 2.

Blitzschutzzonen-Konzept

Um den technisch und wirtschaftlich besten Schutz zu erreichen, wird die Kläranlagenwarte in Blitzschutzzonen (LPZ) unterteilt. Anschließend wird die Risikoanalyse für jede LPZ und für die relevanten Schadensarten durchgeführt. Zum Schluss werden noch die gegenseitigen Abhängigkeiten der LPZ geprüft und die endgültig notwendigen Schutzmaßnahmen festgelegt, damit das erforderliche Schutzziel in allen Blitzschutzzonen erreicht wird. Folgende Bereiche wurden in Blitzschutzzone 1 (LPZ 1) und Blitzschutzzone 2 (LPZ 2) eingeteilt:

  • Auswerteelektronik in der Messwarte (LPZ 2)
  • Sauerstoffmessung im Belebungsbecken (LPZ 1)
  • Innenraum der Messwarte (LPZ 1).

Entsprechend dem Blitzschutzzonen-Konzept nach DIN EN 62305-4 (VDE 0185-305-4) müssen alle Leitungen an den Blitzschutzzonen-Grenzen mit den geeigneten Überspannungs-Schutzmaßnahmen versehen sein.

Im Bild 9.32.2 wird am Beispiel der Sauerstoffmessung im Belebungsbecken die Auswahl geeigneter Überspannungsschutzmaßnahmen dargestellt. Die Feldverkabelung befindet sich im gesamten Verlauf innerhalb der Blitzschutzzone LPZ 0B. Sowohl für den Schutz der Sauerstoffmessung als auch für die Leittechnik können somit SPDs Typ 2 eingesetzt werden, da innerhalb der LPZ 0B nicht mit Blitz-(Teil-)Strömen zu rechnen ist.

Bild 9.32.2 Einteilung einer Kläranlagenwarte in Blitzschutzzonen; Beispiel Schutzgeräteauswahl für Sauerstoffmessung

Blitzschutzsystem

Das bestehende Blitzschutzsystem der Kläranlagenwarte wurde gemäß den Forderungen nach Schutzklasse III ertüchtigt. Die bestehende, indirekte Verbindung der Dachaufbauten (Klimageräte) über Trennfunkenstrecken wurde entfernt. Der Schutz gegen einen direkten Einschlag wurde mittels Fangstangen unter Einhaltung der geforderten Trennungsabstände und Schutzwinkel realisiert (Bild 9.32.3).

Bild 9.32.3 Schutzwinkelverfahren nach DIN EN 62305-3 (VDE 0185-305-3)

Im Falle eines direkten Blitz­einschlages in die Messwarte kann somit kein Blitzteilstrom mehr in die bauliche Anlage hineinfließen und Schäden verursachen. Die Anzahl der Ableitungen (4) brauchte aufgrund der Größe der Messwarte (15 m x 12 m) nicht geändert zu werden. Die lokale Erdungsanlage der Kläranlagenwarte wurde an allen Messpunkten geprüft und die Werte wurden protokolliert. Hier mussten auch keinerlei Nachrüstungen gemacht werden.

Blitzschutz-Potentialausgleich für alle von außen eingeführten leitfähigen Systeme

Alle von außen in die Kläranlage eingeführten leitfähigen Systeme müssen grundsätzlich in den Blitzschutz-Potentialausgleich eingebunden werden (Bild 9.32.4). Die Forderung des Blitzschutz-Potentialausgleichs wird erfüllt durch den direkten Anschluss aller metallenen Systeme und den indirekten Anschluss aller unter Betriebsspannung stehenden Systeme mittels Überspannungsschutzgeräten. Die SPDs Typ 1 (Energietechnik) und SPDs Kategorie D1 (Informationstechnik) müssen ein Ableitvermögen der Prüf-Wellenform 10/350 μs aufweisen. Der Blitzschutz-Potentialausgleich soll möglichst nahe an der Eintrittstelle in die bauliche Anlage durchgeführt werden, um ein Eindringen von Blitzströmen in das Gebäudeinnere zu verhindern.

Bild 9.32.4 Blitzschutz-Potentialausgleich nach DIN EN 62305-3 (VDE 0185-305-3), Beiblatt 1

Potentialausgleich

In der gesamten Kläranlagenwarte wird ein konsequenter Potentialausgleich nach den Teilen 410, 540 der DIN VDE 0100 sowie DIN EN 62305-3 ausgeführt und der bereits vorhandene Potentialausgleich geprüft, damit Potentialunterschiede zwischen verschiedenen sowie fremden leitfähigen Teilen vermieden werden. Auch Gebäudestützen und Konstruktionsteile, Rohrleitungen, Behälter usw. werden in den Potentialausgleich so einbezogen, dass mit einer Spannungsdifferenz, sogar im Fehlerfall, nicht zu rechnen ist.

Beim Einsatz von Überspannungsschutzgeräten muss der Querschnitt der Erdleitung zum Potentialausgleich bei SPDs für die Energietechnik mit min. 16 mm2 Cu und bei SPDs für die Informationstechnik, wie z. B. BLITZDUCTOR, mit min. 4 mm2 Cu oder entsprechend den Einbauanweisungen der eingesetzten Produkte ausgeführt werden. Außerdem müssen in Bereichen mit explosionsgefährdeter Atmosphäre die Anschlüsse der Potentialausgleichsleiter beispielsweise an PA-Schienen gegen Selbstlockern (z. B. mittels Federringen) gesichert werden.

Überspannungsschutz der Niederspannungs­versorgung

In der beschriebenen Applikation wird der am Gebäudeeintritt installierte SPD vom Typ VGA 280/4 gegen einen Kombi-Ableiter Typ 1, DEHNventil M TNS 255 FM (Bild 9.32.5) getauscht, da das „alte“ SPD nicht mehr den Anforderungen für Blitzschutzsysteme nach DIN EN 62305-3 (VDE 0185-305-3) entspricht. Die SPDs Typ 2, VM 280, wurden mit einem Ableiterprüfgerät vom Typ PM 20 geprüft.

Bild 9.32.5 DEHNventil im Schaltschrank zum Schutz der Energietechnik

Da die Prüfwerte noch innerhalb der Toleranzen lagen, bestand kein Anlass, die SPDs zu entfernen. Werden wie in dem vorliegenden Fall noch weitere SPDs zum Schutz der Endgeräte installiert, so müssen sie untereinander und mit den zu schützenden Endgeräten koordiniert sein. Die entsprechenden Hinweise und Angaben gemäß der beiliegenden Einbauanleitung sind jeweils zu beachten.

Sonst weist der Einsatz von Überspannungsschutzgeräten in der Niederspannungsverbraucheranlage gegenüber anderen Anwendungen keinerlei Besonderheiten auf und ist bereits mehrfach beschrieben worden (nähere Informationen hierzu bietet die Druckschrift DS 649 – „Red/Line: … Auswahl leicht gemacht“).

Überspannungsschutz in informationstechnischen Systemen

Der Übergabepunkt aller informationstechnischen Leitungen zur Kläranlage ist aus schutztechnischer Sicht der Gebäudeeintritt. An dieser Stelle erfolgt der Einsatz blitzstromtragfähiger SPDs (Kategorie D1), z. B. vom Typ DRL 10B 180 FSD. Vom Übergabepunkt aus werden die Leitungen direkt zu den Schaltschränken geführt und dort aufgelegt. Entsprechend der durchgeführten Risikobetrachtung müssen die ankommenden Leitungen für die 4 … 20 mA-Signale und die Fernwirktechnik über geeignete Ableiter aus der Serie DEHNconnect oder BLITZDUCTOR XT geführt werden. Diese sind für den Einsatz im Blitzschutzzonen-Konzept geeignet (Kategorie C2) und systemverträglich (Bild 9.32.6 und Bild 9.32.7).

Bild 9.32.6 Überspannungsschutzgeräte DEHNconnect in Reihen-klemmenform zum Schutz der gesamten MSR-Technik
Bild 9.32.7 Überspannungsschutzgeräte DEHNconnect; Eintritt der Leitungen aus dem Doppelboden

Damit ist ein lückenloses Überspannungs-Schutzkonzept der informationstechnischen Verkabelung sichergestellt.

Zusätzliche Applikationen zum Schutz von Kläranlagen sind in der Druckschrift DS 107 enthalten. Diese und viele weitere Informationen findet man im Internet unter www.dehn.de.